Barfly



Wenn ich Vergnügen suche, gehe ich nicht in eine Bar. Wenn ich mich vergnügen möchte, bleibe ich zuhause, oder suche mir ein nettes Mädel und spiele Körperbrett.
Wenn ich eine Bar aufsuche, dann, weil ich unglücklich bin und alles Unglück dieser Welt mitnehme und es in einem Glas runterspüle - dieses Drecksgefühl. Die Gewissheit `ich trinke Giftiges´ wirkt belebend und führt mich aus der realen Welt in einen Traum. Als Kind erhoffte ich mir vom Alkohol den Sprung zum Mann sein zu `ersaufen´. Fast überall glaubt man, dass Hemingway ein großer Trinker war. Dem war gar nicht so. Louis Bromfield hingegen war ein Meistertrinker. Ein Zitat von Bertolt Brecht kam mir auf meinem Weg durch die Bars, die ich in meinem Leben aufgesucht habe, immer wieder in den Sinn. Es lautet: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“ Bromfield, so habe ich mir sagen lassen, betrat die Bars schon angetrunken. Aber er verhielt sich immer sehr anständig, sehr gut erzogen. Leider wurde ich zu einer Zeit geboren, in der Menschen anscheinend, wenn sie getrunken hatten, das Wort Anstand nicht kannten. Schlägereien oder Beschimpfungen waren an der Tagesordnung. Ich für mein Teil war ein guter Beobachter und ging auch dazwischen und versuchte Streit zu schlichten. Was mir leider nicht hoch angerechnet wurde. Ich wachte dann meist mit einem Veilchen am anderen Morgen auf. Zurückgeschlagen habe ich nie.
Doch - einmal schlug ich zurück. Ich kam spät abends in eine Bar in Bremen. Seeleute saßen mit ihren tätowierten Ankern und Brautgesichtern auf den Armen an der Bar. Ich bestellte mir etwas zu trinken. Mein Nachbar, ein Koloss, früher wohl mehr Schaumschläger als ein Boxer, der er gewesen zu sein vorgab, fing an, eine Frau zu belästigen. Ich versuchte, ihm klar zu machen, dass er es gefälligst zu unterlassen habe, Frauen in meiner Anwesenheit zu belästigen. Die Folge war ein Schlag auf mein Auge. Ich dachte, das Auge sei weg, fühlte nur ein großes schwarzes Loch, dort wo ursprünglich mein Auge war, und krabbelte unter die Tische, um mein Auge zu suchen. Ich dachte, es sei herausgefallen und müsste irgendwo dort, wo die Beine sich unter den Tischen kreuzten, liegen. Ich fand es aber nicht. Nachdem ich den Schock einigermaßen überwunden hatte, kam der Koloss erneut auf mich zu. Diesmal schlug ich zurück und traf seine Kinnspitze. Er fiel um wie ein gefällter Baum. Alle in der Bar kamen auf mich zu, und einer hob mich auf seine Schultern. Dann trug er mich auf die Straße hinaus und sang. Alle kamen hinterher und sangen mit. Ein Fest wurde geboren.
Der Koloss von Rhodos zählt zu den Weltwundern. Ich war für sie heute Nacht das Weltwunder. Der Koloss aber lag noch immer langgestreckt, ohnmächtig am Boden. Ich besorgte mir ein Stück rohes Fleisch und legte es mir aufs Auge.
 
Kontakt zum Autor:  imaco@bluewin.ch

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